22.06.12

basisakkord

Ich weiß längst nicht mehr wie es war, Y nicht zu kennen. Wie es sich anfühlte, gerade an ihm vorbeigegangen zu sein und ihn nicht in die Arme genommen zu haben.. Nicht auf seine Nachrichten zu warten, nicht an seine Wimpern in der Sonne zu denken. Am wahrscheinlichsten ist, dass das Nichttun von Dingen auch eine recht geringe Spur in den Erinnerungen zurücklässt, aber ich frage mich heute mit einiger Fassungslosigkeit, wie ich Y nicht kennen konnte, ohne wahnsinnig zu werden. Anfangs versuchte ich noch, ihm Gedichte zu schreiben, aber gleichsam habe ich nie versucht, ihm Gedichte zu schreiben. Y wird von allen geliebt. Das elementarste Bedürfnis, von dem alle durchdrungen sind, ist es, geliebt zu werden. Y wird von allen geliebt, weil er ist wie er ist. Aber noch nie hat jemand versucht, so zu sein wie Y. Lieber lachen sie weiter übereinander, gehen nachmittags wartend nach Hause, wartend, dass jemand auftaucht und ihnen Boden unter die Füße malt, immernoch hoffnungsvoll, denn das kann ja nun wirklich noch nicht alles gewesen sein. Selbst verbrannte Erde bringt irgendwann wieder Zirkuszelte hervor. Aber der Abend ist heran, ihre Augen blau, das Brot am Rand noch nicht richtig aufgetaut, da ist nichts, was den Sträfling unter dem Herzen nicht unruhig auf und ab gehen lässt. Was bist Du für ein Versager. Wir haben einander nicht, Du verwächst viel zu schnell mit dem falschen Netz, ihr alle, und..ich werde Dich verlassen.
Niemand von ihnen nutzt die Anlagen, die ihnen jeden Tag mit Y heimlich und sanft in die überfüllten Taschen gestopft werden. Ganz unten liegt auf dem Weg zur Straßenbahn immer etwas weitaus wichtigeres. Die viel zu geschulten Hände stoßen dagegen, tasten hektisch darauf herum, aber was nicht hart ist und Wellen aussendet, wird an die Fingerspitzen geführt und der Welt am Hinterkopf überlassen.
Y's Glück für alle, selbst die ganz schwierigen Fälle, treibt längst nicht mehr die Straßen entlang. Er ist großzügig, er verschenkt alles, er sondert nicht aus und wägt auch nicht ab, er freut sich des Lebens und wird verschmäht. Freut sich noch ein Stück weiter die Leiter hinauf, während unten die Matten fortgetragen werden, der verklumpte Sand aufeinanderdrückt und Y macht Bemerkungen, die jedes Rückgrat etwas wachsen lassen,  er zieht die Sonne gerade, lacht mir zu und steigt weiter. 

Nicht, dass Y nicht schön wäre. Gelassene, von der Natur gewollte Schönheit. Nicht, dass Y nie schwer atmen würde. Man hört es nicht, man sieht es ihm nur an. Nicht, dass Y nicht tanzen würde. In seinem Inneren dreht sich eine warme Scheibe, die alles ineinanderfließen lässt, den Bewegungen die Bewegung nimmt und dafür Kraft in Federstriche beugt. Nicht, dass ich Y nicht lieben würde. 

3/2012